E-Autos: Mehr Gefahren für Rettungskräfte?

27 Mar 2020

Rescuers and electric vehicles

Inzwischen trifft man E-Autos zunehmend häufig und auf Straßen aller Art an, und zusammen mit Hybrid-Autos wächst ihre Anzahl beständig weiter. Statistisch folgt daraus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verwicklung von E-Autos in Unfälle dadurch steigt.  Was bedeutet das für die Rettungskräfte?
 
Genauso wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor müssen alle Hybrid- und E-Autos nach bestimmten Vorgaben getestet werden, bevor sie verkauft werden dürfen. Dazu gehören auch die gesetzlich vorgeschriebenen, minimalen Sicherheitsstandards. Crashtests sind für alle neuen Fahrzeuge vorgeschrieben, die eine Bewertung zwischen 0 und 5 Sternen ergeben. Je mehr Sterne ein Fahrzeug erreicht, desto sicherer ist es. Hybrid- und E-Autos erzielen in diesen Tests gute Ergebnisse mit vier oder fünf Sternen – also vergleichbar gute Ergebnisse wie Autos mit Benzin- oder Dieselmotor – und sind daher genauso sicher.

Einer der seltsamsten Unfälle, zu dem ich als Feuerwehrmann gerufen wurde, war ein Auto, das mehrere Bäume am Straßenrand erfasst hat, so dass der Motorblock – einschließlich des Chassis – gänzlich von der Karosserie des Fahrzeugs losgelöst zum Stillstand gekommen ist. In diesem Fall war es ein Auto mit regulärem Benzin-Motor, aber in Zukunft werden wir uns auch in Situationen wiederfinden, an denen E-Autos beteiligt sind. Die Frage lautet also: In welchem Szenario kann ein E-Auto größere Gefahren für die Rettungskräfte bedeuten als ein herkömmliches Fahrzeug?

Intaktes Fahrzeug oder nur Karosserie-Schäden 

Grundsätzlich ist denkbar, dass es Situationen geben wird, in denen ein E-Auto nicht „unter Strom“ steht. Das ist beispielsweise bei Fahrzeugen der Fall, die infolge eines Unfalls gänzlich intakt bleiben oder nur Karosserie-Schäden aufweisen. Der Stromkreislauf, sprich die Leitungen und die Batterie, sind unversehrt geblieben. In diesen Situationen besteht keinerlei Risiko, dass ein elektrischer Schlag von der Karosserie ausgeht. Das einzige Risiko in dieser Situation besteht darin, dass das Auto losfährt, wenn der Antrieb des Fahrzeugs noch auf D für „Drive“ steht, obwohl Sie das eigentlich gar nicht wollen. In einem solchen Fall können Sie die Räder blockieren, die Handbremse anziehen und die Gangschaltung auf P für „Park“ stellen. Drücken Sie den Start/Stopp-Schalter und lassen Sie ihn wieder los; wenn die Anzeige „Ready to drive“ im Armaturenbrett erscheint, drücken Sie den Schalter erneut, um das Fahrzeug abzuschalten.

Electric vehicle start/stop button 
Aktivierte Airbags in E-Autos

Wenn ein Unfall dazu führt, dass die Airbags eines elektrischen oder Hybridfahrzeugs auslösen, besteht an der Karosserie kein Risiko eines elektrischen Schlags. Der Grund dafür ist, dass die Stromversorgung aus der Antriebsbatterie automatisch abgeschaltet wird, wenn die Airbags auslösen. In Ausnahmefällen lösen die Airbags bei schweren Unfällen nicht aus – zum Beispiel bei Auffahrunfällen von hinten. So lange die Sicherheitszelle unbeschädigt bleibt, geht von der Karosserie kein Risiko eines elektrischen Schlags aus.

Deutlich deformierte Sicherheitszelle

Als Rettungskräfte müssen Sie bei E-Autos mit deutlich verformter Sicherheitszelle besonders vorsichtig sein. In derartigen Fällen kann die Antriebsbatterie in Mitleidenschaft gezogen worden sein; sie befindet sich nämlich innerhalb der Sicherheitszelle. Wenn ein E-Auto an einen Unfall beteiligt ist, bei dem die Sicherheitszelle deutlich verformt wurde, wird die Stromversorgung aus der Antriebsbatterie durch die ausgelösten Airbags und/oder einen Kurzschluss im Stromkreislauf unterbrochen. 

Wenn das Batteriefach stark verformt ist, kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass der Strom in die Karosserie kriecht. Anzeichen dafür können Funken, Rauchentwicklung oder der Geruch nach Kurzschluss oder faulen Eiern sein. Verwenden Sie grundsätzlich ihre persönliche Schutzausrüstung, einschließlich Hochspannungs-Handschuhe, für zusätzlichen Schutz. Sorgen Sie dafür, dass genug Wasser (bis zu 10.000 Liter) am Unfallort vorhanden ist und dass die Schläuche nah zum Fahrzeug geführt werden, damit die Batterie gekühlt werden kann. Verwenden Sie außerdem die Wärmebildkamera, um jeden Temperaturanstieg der Batteriezellen zu überwachen.

Im Brandfall

Wenn ein E-Auto brennt, wird es genauso behandelt wie ein herkömmliches Fahrzeug. Grund dafür ist, dass die entstehenden Verbrennungsprodukte bei E-Autos und herkömmlichen Fahrzeugen identisch sind. Deshalb ergreifen Sie auch die gleichen Schutzmaßnahmen, d.h. Sie verwenden Ihre PSA und das Atemschutzgerät. 

Wenn die Antriebsbatterie brennt, werden jedoch auch andere Verbrennungsprodukte freigesetzt, beispielsweise Lithiumhydroxid. Derartige Brände können mit Wasser gelöscht werden, aber das kann mehrere Tage dauern, und dafür wird jede Menge Wasser benötigt. In verschiedenen Ländern kommen deshalb Wassertanks zum Einsatz, in die ein E-Auto getaucht werden kann, um die brennende Batterie zu löschen. Durch die Abkühlung der Batterie wird versucht, die chemische Reaktion zu unterbrechen, die zu einer erneuten Entzündung führt. Die sichtbaren Flammen sind sehr schnell gelöscht, aber die internen Reaktionen sorgen dafür, dass die Batterie sich immer weiter aufheizt. Wenn das brennende Fahrzeug an die Ladestation angeschlossen ist, schalten Sie die Ladestation ab oder entfernen Sie das Kabel. Dadurch wird die Stromversorgung für das Fahrzeug unterbrochen, und das Feuer kann sicher gelöscht werden.

Immersing an electric vehicle in water

Ein elektrisches Fahrzeug in Wasser eintauchen, um die Batterie zu löschen. Foto: Niederländische Feuerwehr

Im Wasser

Wenn ein E-Auto in einem Gewässer landet, besteht kein Risiko eines elektrischen Schlags, wenn das Fahrzeug teilweise oder vollständig untergegangen ist. Dadurch, dass sich der Bordcomputer des Fahrzeugs im Wasser befindet, wurde die Stromversorgung abgeschaltet. Wenn eine Hochspannungsbatterie unter Wasser getaucht wird, entlädt sie sich und produziert dabei gasförmigen Wasserstoff und Sauerstoff (Elektrolyse). Die entstehende Menge Gas hängt von der ursprünglichen Batteriespannung, der Qualität des Wassers, der Wasserdichtigkeit des Fahrzeugs und der Dauer ab, wie lange das Fahrzeug unter Wasser gewesen ist. Die Gase können einen Brand oder eine Explosion verursachen, deshalb ist es wichtig, für eine Belüftung des Fahrzeugs zu sorgen, z.B. durch das Einschlagen der Scheiben oder indem Sie eine Tür aufmachen, bevor Sie das Fahrzeug aus dem Wasser ziehen. 

Fazit

Unfälle mit E-Autos erscheinen auf den ersten Blick als schwierige Aufgabe, aber aufgrund der verschiedentlich damit durchgeführten Sicherheitstests wissen wir, dass diese Fahrzeuge besonders hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen. Wie auch im Bereich der Fahrzeuge mit konventionellen Motoren wird es den Herstellern zunehmend bewusst, dass Rettungskräfte in der Lage sein müssen, sicher mit diesen Fahrzeugen umzugehen. Egal welches Fahrzeug in einen Unfall verwickelt ist, sie sollten sich immer die Schritt-für-Schritt-Anleitung in den Sicherheitsdatenblättern des jeweiligen Fahrzeugs anschauen. Diese Informationen sind in Fahrzeugdatenbanken wie dem Crash Recovery System oder der Rescue Code-App enthalten. Bei E-Autos sind diese Sicherheitsdatenblätter noch wichtiger, weil darin die genaue Position der Antriebsbatterie und die Lage der orangefarbenen Hochspannungsleitungen eingezeichnet ist. Diese Informationen sind insbesondere im Falle einer deutlich verformten Sicherheitszelle von Bedeutung, weil in derartigen Situationen zusätzliche Risiken bestehen können. Die Sicherheitsdatenblätter enthalten auch Informationen darüber, wie das Hochspannungssystem abgeschaltet wird, beispielsweise über einen Service-Stecker oder mittels Zerschneidens eines Sicherheitskabels. 

Crash recovery system
 
Sicherheitsdatenblatt aus dem Crash Recovery System. Bild: Moditech

Als Rettungskräfte stehen uns Informationen über E-Autos zur Verfügung, und im Laufe der nächsten Jahre werden wir sicherlich weitere Erfahrungen sammeln.  Für mich persönlich ist es eine Chance für unseren Beruf, neue Fähigkeiten zu erlernen und uns selbst weiter zu entwickeln. Wenn wir mitdenken und die richtigen Maßnahmen ergreifen, können wir das Leben von Menschen retten – egal, ob es dabei um herkömmliche oder elektrisch angetriebene Autos geht.

Ich freue mich auf Ihr Feedback in den Kommentaren.


Marinus Verweijen
Holmatro Rescue Consultant

 

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